#supportyourlocal: Qualitativ Forschende in Qualifizierungsphasen
Qualitative Forscher*innen gestalten aktiv und auf kreative Weise die fortwährenden pandemiebedingten Situationen. Dafür bedarf es jedoch besserer Unterstützung von Arbeitsbedingungen und Forschungszugängen, sowie einer deutlichen Positionierung der Betreuenden, Arbeitgebenden und Fördernden zu pandemiebedingten Verlängerungen befristeter Verträge von Qualifizierungsstellen.
Einleitung
Was veranlasst uns, Wissenschaftler*innen in Pre- und Postdoc-Phasen, die sich im Feld der qualitativen Forschung verorten, neben den bereits veröffentlichten und für die Diskussion sehr erträglichen Beiträgen um Wahrung und Gewährleistung guter wissenschaftlicher Praxis, eine weitere Stellungnahme zu verfassen?
Anlass: Im Rahmen des Online-Forums »Qualitative Bildungs- und Sozialforschung in Zeiten von COVID-19«, das am 6. November 2020 am Zentrum für Sozialweltforschung und Methodenentwicklung der Universität Magdeburg stattgefunden hat, sind wir mit fast 200 qualitativ Forschenden in einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch gegangen, um Möglichkeiten und Hindernisse der Forschung unter Pandemiebedingungen zu diskutieren. Einige Fragmente dieser Diskussionen möchten wir mit einem spezifischen forschungs- und qualifikationspraktischen Blick sortieren und in die öffentliche Diskussion einbringen. Ziel ist es, für die besondere Situation qualitativ Forschender (in Qualifizierungsphasen) zu sensibilisieren und Potentiale, die aus den Neuerungen erwachsen, und dafür notwendige Rahmenbedingungen zu diskutieren.
Problembeschreibung
Die Covid19-Pandemie wirkt wie ein Brennglas, unter dem sich Kontroversen um Paradigmen und Forschungspraxis sowie förderbezogene Kontroversen verdichten. Innerhalb der Community ist dabei ein gewisser Pioniergeist ausgebrochen. Die Teilnehmenden des Forums »Qualitative Bildungs- und Sozialforschung in Zeiten von COVID-19« stehen hier nur stellvertretend für zahlreiche Forscher*innen, die in der Pandemie sowohl gegenstandsbezogene als auch methodische Potentiale für eine Weiterentwicklung der qualitativen Sozial- und Bildungsforschung sehen. Es kann festgehalten werden, dass qualitative Forschung nicht zum Erliegen gekommen ist – und dass trotz entsprechender Einschränkungen zur Wahrung des Infektionsschutzes, die eigentlich die „klassischen“ Formen der Erhebung wie Interviews und teilnehmende Beobachtung verunmöglichen. Im Gegenteil, die gesellschaftlichen Verschiebungen, die sich in ganz konkreten alltagsweltlichen Problemen darstellen, werden die wissenschaftliche Community noch lange ›nach Corona‹ beschäftigen.
Bisher lässt sich konstatieren, dass die Community der qualitativ Forschenden die Zuwendung leistet und gleichzeitig vor großen Herausforderungen steht. Gerade Wissenschaftlicher*innen in Qualifikationsphasen stehen unter Zugzwängen, ihre Forschungsprojekte weiter zu verfolgen, und müssen daher methodische Veränderungen und Anpassung hinnehmen, die einer entsprechenden methodologischen Reflexion bedürfen. Beides ist unter gegebenen Umständen zeitintensiv, und der Aufwand der Qualifikationsbetreuung erhöht sich entsprechend. Die Umstellung von Forschungs- und Interpretationszusammenhängen auf digitale Formate stellt dabei in vielen Fällen noch die geringste Hürde dar. Qualitative Forschungsprozesse sind durch ihren zirkulären Charakter zwischen Material und Theorie, von einem Dazwischen abhängig, in dem das Informelle bspw. im kollegialen Austausch von entscheidender Bedeutung ist.
Die unterschiedlichen Formen der befristeten Anstellung erschweren eine Umgestaltung von individuellen Forschungsprojekten. Pragmatische methodologische Anpassungen zum erfolgreichen Abschluss von Qualifikationsprojekten sollten daher von Betreuenden, Arbeitgebenden und Drittmittelgebenden mit entsprechender Flexibilität verhandelt werden. Die bisherige Verlängerung des Höchstbefristungsrahmens stellt dafür nur eine unzureichende Regelung dar. Die Vertragsparteien können je nach den Bedingungen des Einzelfalls die Verträge um bis zu zwölf weitere Monate[1] verlängern. Mit § 7 Absatz 3 WissZeitVG sowie dem WissBdVV wird der gesetzliche Höchstbefristungsrahmen erweitert. Das soll den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie den Wissenschaftler*innen Flexibilität ermöglichen, um den Herausforderungen im jeweiligen Einzelfall angemessen begegnen zu können. In der Praxis wird dies zumeist zu Ungunsten der Beschäftigten gehandhabt, meist mit der Begründung der fehlenden Finanzierung. Der Großteil der Wissenschaftlicher*innen in Qualifizierungsphasen ist außerdem in Drittmittelprojekten angestellt, wo diese Regelung nicht greift.
Forderungen
Gerade finanzielle Sicherheit und das Beibehalten strukturierter Arbeitsabläufe sind förderliche Gelingensbedingungen für Qualifikationsprojekte, weshalb hier eine bedingungslose Verlängerung des Höchstbefristungsrahmens um ein Jahr anvisiert werden sollte – auch für Beschäftigte in Drittmittelprojekten.
Zusammenfassend gilt es angesichts der aktuellen Situation, neue Chancen und Potentiale wahrzunehmen und ebenso die negativen Effekte für die Sicherung von Wissenschaftler*innen in Qualifizierungsphasen und jenseits unbefristeter Professuren in der qualitativen Forschung in den Blick zu nehmen. Unsere Wahrnehmung ist, dass Förder- und Drittmittelgebende sich aktuell zurückhalten, wenn es um die Ausschreibung und Bewilligung qualitativer Forschungsprojekte geht, dass Auswertungs- und Interpretationswerkstätten sich mühsam neusortieren, und dass sich politische Verantwortungsträger*innen und Vertreter*innen zwar bemüht zeigen, aber getroffene Entscheidungen (finanziell) nicht ausreichen.
Dies sind nicht nur Hintergrundgeräusche einer sowieso turbulenten Zeit, sondern Verlaufskurvenpotentiale aus denen die qualitative Sozial- und Bildungsforschung gestärkt hervor gehen kann, sofern die Forschungs- und Arbeitsbedingungen pandemiebedingt angepasst werden.
verfasst von der
Arbeitsgruppe ZSM Online Forum "Qualitative Bildungs- und Sozialforschung in Zeiten von COVID-19“
[1] https://www.bmbf.de/de/karrierewege-fuer-den-wissenschaftlichen-nachwuchs-an-hochschulen-verbessern-1935.html